Gemeinsam Handeln

1. Gemeinsam handeln und den Wandel gestalten
Handlungsfelder Familienfreundliche Kommune
Handlungsfelder Familienfreundliche Kommune

Die Altersstruktur der Bevölkerung verändert sich, das Durchschnittsalter steigt, die Anteile älterer und hochbetagter Menschen nehmen deutlich zu – darauf müssen sich die Städte und Gemeinden im Land einstellen. Schon im kommenden Jahrzehnt wird nahezu jeder dritte Einwohner und jede dritte Einwohnerin Baden-Württembergs über 60 Jahre alt sein. Gleichzeitig nimmt die Heterogenität der Familienformen und Lebensweisen sowie der kulturellen Herkunft der Einwohnerinnen und Einwohner zu. Die Kommunen stehen somit vor der Herausforderung, den sozialen Zusammenhalt in den Ortsteilen und Stadtquartieren zu gewährleisten, also das Miteinander der Menschen und die Selbsthilfe zwischen den Generationen zu erhalten. Hinzu kommt die Aufgabe, die kommunale Infrastruktur an die sich wandelnden Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger vor Ort flexibel anzupassen, sodass eine funktionierende Grundversorgung sichergestellt ist. Dabei wird es darauf ankommen, die Angebote und Leistungen für ältere Menschen auszubauen, ohne dabei die Bedürfnisse und Interessen von jüngeren Menschen, Kindern und Jugendlichen aus dem Blick zu verlieren.

Die Familienfreundlichkeit in den Städten und Gemeinden Baden-Württembergs hängt davon ab, wie diese ihre Handlungsspielräume nutzen, um die Herausforderungen des demografischen und gesellschaftlichen Wandels zu gestalten.

Um eine Kommune familienfreundlich auszurichten, gibt es viele Gestaltungsspielräume. Familienfreundlichkeit reicht vom Kleinkind bis zum älteren Menschen. Grundsätzlich sind die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen ebenso berührt, wie die Belange von Erwachsenen. Fragen des Zusammenlebens von Jung und Alt, von Menschen mit und ohne Behinderungen sowie von Menschen unterschiedlicher Herkunft ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Lebensbereiche in den Kommunen.

Um dieser Vielfalt gerecht zu werden, ist die vorliegende Handreichung in zehn Handlungsfelder aufgeteilt, die je nach örtlicher Ausgangslage und Priorität flexibel bearbeitet werden können.

Eine „Familienfreundliche Kommune“ soll dabei nicht statisch, sondern vielmehr als kontinuierlicher Verbesserungsprozess verstanden werden. Zu einem solchen nachhaltigen Veränderungsprozess gehören eine effektive Vernetzung der Akteure und Akteurinnen sowie eine frühzeitige Beteiligung der Bevölkerung, eine systematische Bestandsaufnahme und darauf aufbauende Entwicklung von Zielen und Maßnahmen sowie eine kontinuierliche Umsetzung und Fortschreibung der Agenda.

2. Akteure und Akteurinnen zusammenführen

Um ein familien- und generationenfreundliches Gemeinwesen zu entwickeln, ist es hilfreich, ein Konzept zur nachhaltigen Kommunalentwicklung zu formulieren, das alle Akteur/-innen und Handlungsfelder in der Kommune berücksichtigt. Die Arbeit mit der Handreichung ist eine gute Ausgangsbasis für einen erfolgreichen Entwicklungsprozess.

Um Familienfreundlichkeit als Querschnittsthema angehen zu können, brauchen die Gemeinden und Städte vor Ort starke Bündnispartner und Unterstützer. Eine gute Plattform hierfür sind die Lokalen Bündnisse für Familie, denn sie fördern die Zusammenarbeit von familienpolitisch Aktiven, Kommunen, Kirchen, Verbänden und der Wirtschaft mit dem Ziel, die familienbezogenen  Angebote und Leistungen stärker miteinander zu koordinieren und die örtlichen Rahmenbedingungen für Familien weiter zu verbessern. Das gemeinsame Ziel aller Bündnispartner ist es, mit Bürgerbeteiligung neue Ideen und Helfer für verschiedene Themen und Projekte zu gewinnen. Voraussetzung für einen gelingenden Beteiligungsprozess ist ein eindeutiges politisches Mandat von der Verwaltungsspitze und dem Gemeinderat sowie die Bereitschaft, alle Ideen und Vorschläge der Bürgerschaft wertschätzend zu diskutieren und abzuwägen.

Ist der Auftrag ausgesprochen und stehen (Ober-) Bürgermeister/-in, Verwaltung und Gemeinderat hinter dem Vorhaben, geht es darum, gemeinsam mit den örtlichen Akteur/-innen und der Bürgerschaft ein Konzept mit Zielen und Maßnahmen auszuarbeiten, um den Entwicklungsprozess voranzutreiben. Die Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten im Blick zu haben und zusammenzuführen ist dabei die große Kunst. Bestehende Arbeitsgruppen, Einrichtungen und Initiativen müssen hierbei genauso berücksichtigt werden wie die vorhandenen Kräfte und Ressourcen.

3. Quartiere aktivieren, Bevölkerung beteiligen

Patentrezepte für ein familien- und generationenfreundliches Gemeinwesen gibt es nicht. Konkrete Lösungen lassen sich nur vor Ort in den Gemeinden, und Städten, Ortschaften und Stadtvierteln erarbeiten – im gemeinsamen Dialog von Gemeinderat, Verwaltung, örtlichen Einrichtungen, Unternehmen, Kirchen, Vereinen sowie mit den Einwohnerinnen und Einwohnern. Es gibt vielfältige und attraktive Beteiligungsmöglichkeiten, um den Belangen von Familien, Kindern, Jugendlichen und älteren Menschen gerecht zu werden sowie ihren Ideen und Gestaltungsvorschlägen verstärkt Geltung zu verschaffen. Hierbei können auch landesweite Initiativen und Förderprogramme des Landes Baden-Württemberg helfen.

Die Landesstrategie „Quartier 2020 – Gemeinsam.Gestalten“, die vom Ministerium für  Soziales und Integration Baden-Württemberg vorangetrieben wird, unterstützt die Kommunen dabei, das Miteinander der Menschen Selbsthilfe und Zusammenhalt in den Gemeinde- und Stadtquartieren zu stärken. Angesichts des fortschreitenden demografischen Wandels werden hierbei insbesondere auch die Teilhabe und  Versorgung älterer Menschen gefördert. Weitere Schwerpunkte sind Beteiligung und Engagement, Familien und Generationen, Wohnumfeld und Mobilität, lokale Wirtschaft und Beruf, Gesundheitsförderung und -prävention, Integration sowie Inklusion. Um die baden-württembergischen Städte, Gemeinden und Landkreise bei ihrer Quartiersentwicklung zu unterstützen gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Beratungsangeboten. Eine Übersicht hierzu finden Sie im Beratungswegweiser Gemeinsamen Kompetenzzentrums Quartiersentwicklung (GKZ.QE) von Gemeindetag, Städtetag und Landkreistag Baden-Württemberg. Die FamilienForschung des Statistischen Landesamtes bietet zudem Fachtage und Regionalkonferenzen für interessierte Kommunen an (www.quartier2020-bw.de).

Auch die Städtebauförderung des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau legt bei der städtebaulichen Erneuerung Wert darauf, dass die baulichen Maßnahmen das soziale Miteinander im Quartier fördern, ein attraktives Wohn- und Arbeitsumfeld entsteht und auf die demografische Entwicklung reagiert wird. Mit dem Programm „Nichtinvestive Städtebauförderung NIS in Sanierungsgebieten“ unterstützt das Wirtschaftsministerium auch soziale Projekte, beispielsweise zur Beteiligung und Mitwirkung der Einwohnerinnen und Einwohner, zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen in der Freizeit, zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen oder zur Integration von Migrantinnen und Migranten (www.wm.baden-wuerttemberg.de).

Die Initiative Allianz für Beteiligung e.V. fördert ebenfalls die konkrete Quartiersarbeit und Bürgerbeteiligung in den Städten und Gemeinden – eng abgestimmt mit den zuständigen Ministerien. In einem Förderbaukasten für Kommunen und Zivilgesellschaft sind die verschiedenen Förderlinien zur Quartiersentwicklung und Bürgerbeteiligung zusammengestellt (www.allianz-fuer-beteiligung.de).

Als Initiative der Lokalen Bündnisse für Familie unterstützt die AG Netzwerk Familie Baden-Württemberg Städte und Gemeinden auf ihrem Weg zur Familienfreundlichkeit. Auf Grundlage der vorliegenden Handreichung wurde das Prädikat familienbewusste Kommune Plus entwickelt, das Städten und Gemeinden bei der Bilanzierung und Weiterentwicklung ihrer familienbezogenen Angebote helfen soll (www.netzwerk-familie-bw.de).

Neben den genannten Initiativen und Programmen gibt es noch viele weitere Möglichkeiten und Formate, um die Bürgerschaft für die Gestaltung des örtlichen Zusammenlebens zu mobilisieren, beispielsweise durch BürgerInnenräte, Ortsteil- und Stadtteilkonferenzen, Zukunftswerkstätten, Stadtspaziergänge und ähnliche Formate. Als praxistauglicher Einstieg in die beteiligungsorientierte Quartiersarbeit haben sich auch die Generationen-Workshops erweisen, die vom Ministerium für Soziales und Integration gefördert und von der FamilienForschung des Statistischen Landesamtes durchgeführt werden. Hierzu werden Jugendliche und ältere Menschen eingeladen, damit sie gemeinsame Lern-, Hilfe- oder Kulturprojekte für ihre Heimatgemeinde entwickeln und so auf ganz praktische Weise Begegnung und Austausch zwischen den Generationen fördern (www.fafo-bw.de).

4. Familienfreundlichkeit als Entwicklungsprozess anlegen
Leitziel „Familienfreundliche Kommune“ als kontinuierlicher Verbesserungsprozess
Leitziel „Familienfreundliche Kommune“ als kontinuierlicher Verbesserungsprozess

Die Handreichung „Familienfreundliche Kommune“ unterstützt den Einstieg in einen Prozess zur nachhaltigen familienfreundlichen Kommunalentwicklung. Dieser Prozess kann als kontinuierlicher Verbesserungsprozess verstanden werden, der idealtypisch vier Arbeitsschritte umfasst:

Bestandsaufnahme mit der Handreichung

Als Einstieg in den Entwicklungsprozess und auch als Zwischenbilanz auf dem Weg zur „Familienfreundlichen Kommune“ empfiehlt es sich, die bestehenden Angebote und Leistungen für Familien mit der örtlichen Bedarfslage zu vergleichen:

  • ƒWelche Steuerungsrelevanz hat Familienfreundlichkeit in der Kommune bisher?
  • ƒWas bieten die Kommune, Kirchen, freie Träger, Unternehmen und Vereine für Familien, Kinder, Jugendliche, Senioren, Jung und Alt?
  • ƒTreffen die Angebote den örtlichen Bedarf? Werden die Zielgruppen tatsächlich erreicht und was fehlt noch?
  • ƒSind die Akteure und Akteurinnen sowie die Angebote gut miteinander vernetzt? Werden die Mittel effizient eingesetzt?
  • ƒWelche guten Praxisbeispiele und Lösungen gibt es in anderen Kommunen? Was kann man daraus für die eigene Entwicklung lernen?

Entlang des Fragenkatalogs der Handreichung „Familienfreundliche Kommune“ lässt sich eine strukturierte Bestandsanalyse der familienfreundlichen Infrastruktur durchführen, die zu bedarfsorientierten Zielen führt.

Zielentwicklung

Ist der Bestand erhoben, empfiehlt es sich, dass Kommune, Bündnispartner und Einwohnerschaft eng und zielorientiert zusammenarbeiten. Die Grundidee der Zusammenarbeit ist die Einsicht, dass die gegenwärtigen Herausforderungen durch den demografischen und gesellschaftlichen Wandel ein breit angelegtes Handeln von Politik, Verwaltung, örtlicher Wirtschaft und Zivilgesellschaft erforderlich machen. Neben den örtlichen Fachkräften sollten die Einwohnerinnen und Einwohner vor Ort zu Wort kommen, um sicherzustellen, dass die Ziele und geplanten Maßnahmen am konkreten Bedarf der Menschen ansetzen.

Umsetzung

Auch bei der Umsetzung familienfreundlicher Maßnahmen sollte die Einwohnerschaft vor Ort aktiv mitwirken können. Besonders eignen sich Vorhaben, die Kinder, Jugendliche oder ältere Menschen unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel die Neugestaltung von Spielplätzen oder Schulhöfen, der Bau einer Skateranlage, die Aufwertung des Wohnumfelds, die Einrichtung eines Mehrgenerationentreffs oder eines Dorfladens oder die Gründung eines Hilfenetzwerks für Jung und Alt, um nur einige Beispiele zu nennen. Je nach Anlass und Zielgruppe sind verschiedene Beteiligungsformen sinnvoll.

Fortschreibung

Um die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der familienfreundlichen Kommunalentwicklung sicherzustellen, sind Erfolgskontrollen und Selbstevaluation erforderlich.

  • ƒSind die Ziele, die sich die Kommune gesteckt hat, auch tatsächlich erreicht worden?
  • ƒHaben die Maßnahmen die Lebenssituation von Familien in der gewünschten Weise und in der angestrebten Frist verbessert?
  • ƒBei welchen Zielen ist es noch nicht vorangegangen, wo gibt es neuen Handlungsbedarf?

Wichtig für eine wirksame Erfolgskontrolle ist auch die Einbeziehung der Einwohnerschaft und der örtlichen Kooperationspartner. Zur Sicherung der Nachhaltigkeit werden nach dem Bilanzziehen gemeinsam weiterführende Ziele und Maßnahmen im Sinne eines kontinuierlichen familienfreundlichen Verbesserungsprozesses erarbeitet. Dabei werden nicht zuletzt auch die besonderen Leistungen aller Beteiligten in angemessener Weise gewürdigt. Bilanz zu ziehen, Anerkennung zu bekommen und neue Ideen mit- zunehmen bedeutet ebenfalls, neue Motivation für den weiteren Weg zur Familienfreundlichkeit zu gewinnen.